Reiseberichte

Vietnam   17. Mai 2017, Saigon, Vietnam
Das Unmögliche versuchen

Am Ziel

Jakob:

„Man muss das Unmögliche versuchen, um das Mögliche zu erreichen.“ (Hermann Hesse)

Ich erinnere mich noch an den Zeitungsartikel vor ein paar Jahren, der mir zufällig in die Hände fiel. Abgebildet war ein Mann -für mich damals das Sinnbild eines Abenteurers- mit seinem Fahrrad vor einer Naturkulisse aus einem fernen Land. Mein Traum, mit dem Fahrrad die Welt zu erkunden, kam erneut auf, stärker als all die Jahre zuvor. Genau kann ich nicht sagen, wann sich dieser verrückte Traum in meinem Kopf festgesetzt hat, aber seit diesem Zeitungsartikel vor ein paar Jahren war er wieder zum Leben erwacht und pochte unaufhörlich in meinem Hinterkopf wie ein größer werdender, gutartiger Tumor ;-)

 i20160410-07Jetzt, ein paar Jahre später, sitze ich irgendwo am Südchinesischen Meer und träume von dem, was ich zusammen mit Ernest erleben durfte im vergangen Jahr. In dem Moment, als wir das Südchinesische Meer zum ersten Mal sahen, zitterte ich am ganzen Körper und unbeschreibliche Dinge gingen in mir vor. Ich wusste nicht, was es bedeutet, mehrere Wochen, mehrere Monate als Fahrradnomade unterwegs zu sein, und was es für wunderbare Gegenden, Menschen und Kulturen auf unserem schönen Planeten gibt, ohne das ich je davon gehört oder gelesen hätte.

 i20160428-03Es gab oft Momente auf dieser Reise, in denen ich mir meine Heimat, mein Zuhause oder meine Freundin herbei gewünscht habe: wenn ich alleine im Zelt lag, draußen das Wetter mein Zelt als Spielball benutze und jederzeit jemand unseren Lagerplatz entdecken könnte. Oft dienten dann die Erschöpfung und eine Aussicht auf einen leckeren Espresso am nächsten Morgen als Einschlafhilfe. Das Erwachen am nächsten Tag war jedes Mal ein einzigartiges Erwachen, da man zwar aus einem anderen Traum erwachte, aber direkt wieder in den nächsten hereinleben konnte.

 i20160509-07Jeder Tag war voll von Impressionen, Adrenalinstößen und Überraschungen, und kein Tag glich dem anderen, wenn man vom Strampeln absieht ;-)

Ich bin froh, dass ich den Mut und die richtige Zeit für das beste Jahr meines Lebens gefunden und genutzt hatte.

Ernest und Papa

Viele Leute, denen wir begegnet sind, haben uns gefragt, ob Ernest und ich uns denn nie streiten würden oder miteinander Probleme haben. Dazu gibt es nur eine einzige Antwort:

Ohrid-SeeWenn man das Glück in seinem Leben, hat einen Menschen zu finden, der der einzig Richtige ist, mit dem man solch ein verrücktes und wagemutiges Abenteuer starten und durchziehen kann, dann ist man wahrlich gesegnet. Wer weiß, warum ich diesem großen Katalanen damals vor viereinhalb Jahren bei der ersten Versammlung der neuen Krankenpflegeschüler einen Platz neben mir angeboten habe. Das Losglück entschied, dass wir in dieselbe Gruppe kamen, und der Zufall wollte es, dass er einen Raum in seiner King-Size Wohnung frei hatte und ihn mir „vorübergehender Weise“ anbot.

 i20160713-13War das alles Glück oder hatte da schon der Fahrrad-Gott oder Don Bosco seine Finger mit im Spiel? Es ist zumindest so, dass ich mir keinen anderen Menschen hätte vorstellen können, der mit mir solch ein großes Abenteuer durchziehen würde. Ich weiß noch, wie er mir geantwortet hat, als ich ihn ganz unverbindlich bei einem Bierchen gefragt habe, ob er nicht Lust hätte, mit mir mit dem Fahrrad um die halbe Welt zu fahren. Seine Antwort kam wie aus der Pistole geschossen: „ Klar, ich bin dabei!“

 i20160718-12Seine offene, unglaublich herzliche Art, mit seinen Mitmenschen umzugehen, hat mich immer zutiefst beeindruckt. Jeder Mensch, ob vollkommen betrunken auf den Straßen Kölns zu Karneval oder ein iranischer Obstverkäufer, jeder Mensch war willkommen und fühlte sich auch willkommen, sobald man ein paar Worte mit Ernest gewechselt hat.

Zweiter Pass geschafftWenn ich auf meiner Reise Tiefpunkte hatte, krank gewesen bin oder einfach keine Motivation mehr hatte, mit den kaputten Beinen weiterhin gegen den Wind und das Wetter anzutreten, dann war er da. Die durchweg positive Einstellung zu allem und seine körperliche sowie geistige Stabilität und Stärke hat uns zusammen bis hierher an die Ufer des Südchinesischen Meeres gebracht.  i20161008-05Ich habe tiefstes Vertrauen in ihn, und es ist einfach unbeschreiblich, dass es nie mit ihm langweilig wurde, obwohl wir uns 24 Stunden / 7 Tage die Woche gesehen und gerochen haben :-). Die Freundschaft, die uns verbindet, ist kostbarer als jedes materielle Gut, dass ich besitze oder erwerben könnte. Ich danke dir, Irni, dass ich das alles mit dir erleben konnte! Du bist und bleibst ein unglaublich toller Mensch und Freund.

 i20161008-06Auch Dir, lieber Paps, möchte ich von ganzem Herzen danken, denn du warst nicht nur mein Unterstützer und Vater auf dieser Reise, sondern auch das dritte Teammitglied. Diese unglaublich tolle Website, die Du ein halbes Jahr vor der Reise in endlosen Stunden erstellt hast und deine tagtägliche Arbeit während der Tour an der Website hat es uns erst ermöglicht, unsere Botschaft an so viele Menschen weiterzugeben. TanzenOhne deine Organisation im Hintergrund, was die Finanzen, die Reports, Visa, Flüge, politische Lagen usw. angeht, wären wir wahrscheinlich aufgeschmissen gewesen ;-). Wir durften frei im Kopf sein. Die bürokratischen und organisatorischen Anfälligkeiten, die es nun mal gibt auch auf einer Weltreise, hast Du uns abgenommen und uns somit den Rücken frei gehalten. Wir durften in vollen Zügen das Abenteuer genießen und konnten bedenkenlos die Sorgen zurücklassen.

Über mich

„Geht es nicht auch in solch einer Reise um das Nachforschen und Entdecken Deiner eigenen Persönlichkeit, um das Besser-Kennenlernen des eigenen Ichs?“, haben mich viele Freunde gefragt. Ja, auch wenn man das gar nicht beabsichtig zu tun, so passiert es doch von alleine.

GastgeberIch habe mich wieder ein Stück besser kennen gelernt auf dieser Reise. Meine körperlichen und geistigen Grenzen weiter nach oben verschoben und ausgereizt. Durch die tägliche, körperliche Anstrengung nimmt man seinen Körper ganz anders war, pflegt ihn mehr und geht vorsichtig mit ihm um. In den ersten Wochen habe ich unglaublich viel gegessen und habe trotzdem enorm abgenommen. Mein Energiebedarf sank von Monat zu Monat, bis ich nach ca. 3 Monaten meine Topform erreichte.  i20170111-14Auch fühlte ich mich sicherer auf der Straße, in Kontakt mit fremden Leuten und in brenzligen Situationen. Körper und Geist waren zu einer funktionierenden Einheit zusammen geschmolzen, und somit stand der Leistungssteigerung, aber auch der Harmonie zwischen Ernest und mir nichts mehr im Wege.

 i20170111-16Ich habe lange Zeit meines Lebens aufkommende Wut oder Ärger oft geschluckt und sie nicht abgelassen. Der Iran mit seinen bürokratischen Botschaften in Teheran und der indische Verkehr waren die besten Therapeuten, um dieses Problem auszuradieren. Ich konnte auf einmal explodieren und den Busfahrern in Indien mit ihrer suizidalen Fahrweise hinterherbrüllen und meine Wut herauslassen. Glaubt mir, dass tat unglaublich gut! Manchmal habe ich mich sogar dabei erwischt, wie ich nach einem Ausraster gelächelt habe vor Stolz, dass ich mein Temperament zurück gefunden hatte.

 i20170111-23Wenn ich jetzt nach Hause komme und ich den einen oder anderen von Euch wiedersehe, dann habt keine Sorge, wenn ihr mich Fluchen hört: Das ist zwar anders als vorher, aber goldrichtig und tut immer wahnsinnig gut ;-)

Menschlichkeit

Wir wollten mit dieser Tour unseren Freunden, Familien und auch Fremden zeigen, dass die meisten Menschen auf unserem schönen Planeten keine Attentäter, Kidnapper, Räuber oder Prügelknaben sind. Eine Menge Menschen haben uns gewarnt vor den vielen Gefahren, die auf uns lauern. RukumkotDabei sprachen sie fast immer von der Bevölkerung eines bestimmten Landes oder von Angehörigen einer bestimmten Religion. Für uns waren die größten Gefahren aber der Verkehr auf den teilweise sehr gefährlichen Straßen, und eine schlimme Krankheit. Es kann natürlich auch Glück sein, dass wir nie überfallen wurden oder dass uns nie etwas Schlimmes von Menschen angetan wurde auf dieser Reise.

Oben auf dem PassAuch wenn ich überzeugt bin, dass Ernest und ich viele Schutzengel und natürlich auch viel Glück hatten, so bin ich nun noch mehr als vorher stark von dem Guten im Menschen überzeugt. Wenn ich an die Tausenden von helfenden Armen zurück denke, die uns ein Dach über dem Kopf gegeben haben, ein warmes Brot oder einen heißen Tee auf kalten, regnerischen Etappen, dann kommen in mir tiefe Dankbarkeit und eine große Bereicherung auf, diese Menschen kennengelernt zu haben.

 i20170310-22An dieser Stelle möchte ich noch einmal kurz eine kleine Geschichte erzählen, die wir auf unserer Reise durch die Türkei erlebt haben. Wir waren zu Gast bei einer kleinen türkischen Familie, bei der wir einen Pausentag eingelegt hatten, da sie uns die Umgebung zeigen wollten. Die Großmutter der Familie wusch alle unsere Klamotten und verköstigte uns, bis wir platzen. Als es am Abend dann ins Bett ging, kam sie zu uns ins Zimmer, zog uns die Decke bis unter den Hals und gab uns einen Kuss auf die Stirn.  i20170310-24Sie kannte unsere Sprache nicht, geschweige denn Englisch, und wir kannten ihre Sprache nicht. Die Liebe, die diese herzensgute, alte Frau uns schenkte, war Balsam für unsere mutterseelenverlassenen Abenteurerseelen. In diesen Tagen gab es keinen Unterschied zwischen Türken, Katalanen und Deutschen, nicht zwischen Christen und Muslimen, nicht zwischen türkischer und europäischer Kultur. Es gab nur Menschen, die einander Gutes taten und sich kümmerten.

 i20170403-15Diese und viele, viele andere Erfahrungen haben mich zutiefst geprägt und optimistisch werden lassen in Zeiten, wo das Vertrauen in das Fremde gleich Null ist und Vorurteile größer anstatt kleiner werden.

 i20170423-07Ich bin dankbar und innerlich äußerst befriedigt für das, was ich erleben durfte. Ein funktionierendes wirtschaftliches System hat es mir ermöglicht, eine Ausbildung zu machen und somit einen Beruf zu erlernen. Der Beruf und die harte Arbeit haben mir letztendlich zu der Verwirklichung meines Traumes verholfen. Wir haben Tausenden von Schulkindern in den vielen Don Bosco Schulen auf unserer Reise erzählt, dass es wichtig ist, für Träume zu leben und zu kämpfen.

14.000 kmEin Großteil der Bevölkerung unserer Erde hat auch mit größter Kraftanstrengung wenige Chancen, persönliche Träume zu verwirklichen. Deshalb sind wir beide einfach unglaublich dankbar, diese Chance im Leben bekommen zu haben.

Vielen Dank Euch allen, die Ihr uns auf unserem Weg von Köln bis Vietnam in Gedanken und Taten begleitet habt! Ich danke Euch, Irni, Valerie, meiner Familie und meinen Freunden für alles, was ihr für mich getan habt, damit ich meinen Traum erfüllen konnte.

Das war ein Anfang von etwas. Nichts ist unmöglich!

Cheers, Euer Jakob

Am Ziel^ Am Ziel ^




Kommentare zu diesem Bericht:

Kirsten schreibt:

17. Mai 2017, 15:35

Lieber Jakob, lieber Ernest,
ich freue mich so für euch und bin sehr berührt von Deinen Worten!
Was für ein Abenteuer und wieviel schöne Begegegnungen!
Es ist so, wie du schreibst "Man muss das Unmögliche versuchen"

Auf ein Wiedersehen in Bonn Herzlichst Kirsten

P. Bernhard Seggewiss SDB schreibt:

19. Mai 2017, 16:49

Euer Projekt, Jokob und Ernst, sagt mehr als tausende Worte aus! Politiker und viele andere Menschen könnten davon ableiten, dass eine friedliche Welt möglich wäre, grenzenlos! Unermesslich scheint mir der Gewinn, den ihr erradelt habt. Mögen doch viele, die das lesen und erzählen, auf andere Gedanken kommen und Ideen entwickeln. Echte Friedensbotschafter seid ihr. Kein Vortrag und keine Predigt können das bewirken! Nächstes Jaht heißt der Katholikentag in Münster: Gib Frieden! Das habt Ihr gelebt! Könntet Ihr Euch vorstellen, zum Pfingstfestvival nach Calhorn zu kommen, um über 1000 jungen Menschen und auch älteren Menschen von Euren Erlebnissen zu erzählen? Es kommen vorwiegend Messdiener und Messdienerinnen aus dem Offizialat Oldenburg und dem Bistum Osnabrück. Das Motto heißt: Gottes Geist - Dein Wegbegleiter. Das war er Euch ganz sicher. Würdet ihr mich auch anrufen: 01709080921. Der Ort ist Calhorn, Haus Don Bosco, 49632 Essen (Olbg.) Dort betreiben wir Salesianer Don Boscos eine Jugendbildungsstätte und sind in der Pfarrseelsorge. Ich bin Direktor der Mitbrüder und Pfarrer der Kirchengemeinde St. Bartholomäus. Frohe Grüße P. Seggewiss

Burkhard Rühl schreibt:

19. Mai 2017, 22:20

Liebe Jungs, zum Schluss ein paar Worte,
die mir einfielen, als ich den Beitrag meines Vorgängers las.

Ich bin als evangelischer Christ aufgewachsen.
Vor 50 Jahren bin ich aus der Kirche ausgetreten,
und im Laufe der nachfolgenden Jahrzehnte auch aus der Religion.
Ich möchte alles Trennende hinter mir lassen.
Dazu gehören für mich vor allem: Nationalbewusstsein und Religion.
Ich habe im Laufe meines jetzt 73 jährigen Lebens und im Verlaufe meiner vielen Radreisen gelernt, das das wichtig ist für den Frieden mit anderen und mit mir selbst.
Langsam fühle ich mich Mensch werden.
Verbinden mit den anderen Menschen tut mich ein Blick in ihre weinenden, lachenden oder zweifelnden Augen, ihre Neugier, ihr sprechender Mund und mein verstehendes Ohr und auch mein fragender und oft kritischer Mund, der langsam lernt, nicht mehr zu verletzen und doch zu sagen, was das Herz bewegt.

Es wäre schön, wenn dieses Portal noch weiterbestehen würde oder aber ihr ein neues einrichtet, auf dem ich verfolgen kann, wie euer weiterer Weg aussieht.
Mit lieben Grüßen
Burkhard

Alexander Bunje schreibt:

26. Mai 2017, 14:18

Lieber Jakob,
deine worte haben mich sehr berührt! Unglaublich und unvorstellbar was ihr zwei da realisiert habt! Ich bin glüklich das ihr heile zu hause angekommen seid und freue mich auf ein baldiges treffen mit spannenden geschichten!
Love and Peace,
Alex

Jakob schreibt:

26. Mai 2017, 16:07

Vielen lieben Dank euch allen für eure schönen Worte und Gedanken!
Langsam kommen Ernest und ich an, auch wenn wir jetzt wieder in einer ganz anderen Welt sind:)
Eine Heimat, Familie und Freunde zu haben ist etwas ganz besonderes.
Werde mich bald wieder auf Rad schwingen und ein paar Runden um Köln drehen und dieses wunderbare Wetter genießen!

Bis bald,

Euer Jakob

martin heilscher schreibt:

29. Mai 2017, 11:03

Liebe Freunde,
Eure Worte und Taten berühren mich täglich.
die Mauern in unseren Köpfen, die teilweise absichtlich errichtet werden, um uns Menschen zu trennen, sind Irrsinn!!!
Ihr habt das bewiesen. Das Glück netten Menschen zu begegnen beginnt damit es zuzulassen. Ihr seid einen großen Schritt weiter gegangen. Ihr habt die fremden Menschen und Gegebenheiten gesucht. Damit habt ihr ein wahres Zeichen gesetzt. Ein Zeichen der Menschlichkeit.
Wie froh ich bin euch begegnet zu sein und freue mich wahnsinnig für euch.
Hoffentlich bis bald. Spätestens zur Filmpremiere :-)




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